Forschungsbericht

DER NACKTMULL. Komische Operette in drei Akten.

Dass wir in Wien in Anlehnung an "Die Fledermaus. Komische Operette in drei Akten" uns an der Operette abzuarbeiten versuchten, erschien uns folgerichtig. Nach der Auseinandersetzung mit linken Utopien und ihrem Wechselspiel zu der Befindlichkeit der Mittelschicht in unserem vorigen Projekt legten wir in der jetzigen Arbeit den Schwerpunkt auf Mechanismen der Unterhaltung, des Entertainments. Jede unserer Performances ist auch ausagiertes Nachdenken über Theater, so "dachten" die Performer nunmehr mit Hilfe von Materialien aus der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie, wie z.B. Witzen und Schlagern über den Entertainmentfaktor nach, der nach Meinung einiger Kritiker der letzten Produktion gefehlt habe. Im Vordergrund dabei der unbedingte Wille zu unterhalten. Aus dem gesammelten Material generierten die Performer jeden Abend eine Abfolge von Text-, Musik-, Gesangssplittern und Show-Gesten, die durch eine Dreiteilung und klare atmosphärische Abgrenzung der drei Teile voneinander noch eine deutliche Referenz in Richtung der guten alten Wiener Operette aufwies. Die Entwicklungsgeschichte der Operette lesen und aufgreifen bedeutet, immer der Fallhöhe bürgerlichen Denkens, Sehnsüchten und Ängsten auf der Spur zu sein. Die Operette ist eine originäre Ausdrucksform von Bürgerlichkeit: Selbsthass und Selbstüberhebung bilden die äußeren Pole, zwischen denen mit den Mitteln der Frivolität, der Groteske und des Sentiments das eigene Tun und Denken zum einen auf den Prüfstand und zum anderen auf ein sakrosanktes Podest gestellt werden. Die Auseinandersetzung mit diesem Genre heißt aber auch gerade seine eigene (Klein) Bürgerlichkeit anzuerkennen und damit zu spielen, ob es sinnvoll und möglich ist dieser zu entfliehen oder in einem utopischen Moment zu transzendieren. Muss Unterhaltung immer plump und anbiedernd sein, wo kommt man hin, wenn man versucht "die Menschen da abzuholen wo sie sind"? Sind Eigensinn und Subversion auch mit dem Knochengerüst der Operette möglich und kann man, das mit den Mittel der Postdramatik verbinden? Kontroverse Diskussionen mit unserm Publikum eröffneten uns neue Anknüpfungspunkte, die in jeden folgenden Abend einflossen. Selbstreflexion in Verbindung mit der Möglichkeit des unmittelbaren Scheiterns am Abend der Aufführung, als Bestandteil der Aufführung: gehen die Menschen in den Zirkus, weil sie wirklich sehen wollen, wie der Tiger von einem Hocker auf den anderen hüpft oder wollen sie nicht in Wahrheit sehen, wie der Dompteur gefressen wird?

Februar 2009

Von und mit Christoph Ernst, Thomas Friemel, Barbara Hörtnagl, Mirco Reseg, Alice Schneider, Markus Weckesser und als Gast Daniel Philippen.

Eine Produktion von prc und brut Wien. Mit freundlicher Unterstützung der Kulturabteilung der Stadt Wien.