Man muss seine Leidenschaften präzisieren.

Weder in der Philosophie, noch in der Kunst geht es um Beweis oder Meinung. Es geht um eine Setzung, um Behauptung. Die Behauptung unterscheidet vom Beweis und der Meinung, dass sie ohne Gewissheit auskommen muss. Behauptungsphilosophie ist Philosophie im Ungewissen. Sie überschreitet die Modalitäten herkömmlichen Denkens, wie Reflexion, Begründung, Kritik und Argument. Es geht darum als Subjekt im Ungewissen eine Wahrheit zu berühren und dieser Berührung eine Form zu geben, Sprache. Wahrheit ist der Name für die Grenze der Tatsachenwelt. Es gibt Philosophie nur als Kontakt zu dieser Grenze, als eine den Imperativen des Faktischen entzogene Behauptung. Die Wahrheitsberührung muss der Meinungsgewissheit und dem Tatsachenobskurantismus gleichermaßen widerstehen. Sie ist Berührung des Unberührbaren, und macht aus dieser Berührung eine Lebensform.

Kunst und Philosophie sind (auto)agressive Halsüberkopf-Bewegungen. Das Subjekt der Kunst, das Subjekt der Philosophie hat keine Zeit. Es gibt Kunst und Philosophie nur als Selbstüberstürzung. Als blinde, gewaltsame, unberechenbare Bewegung. Kunst und Philosophie sind exakte Übertreibungen. Und "Übertreibung und Genauigkeit sind vielleicht ebensowenig unvereinbar wie Übertreibung und Gerechtigkeit"(Düttmann, Philosophie der Übertreibung).

Vielleicht gibt es Kunst und Philosophie nur als Übertreibung, als Hyperbolismus, als Selbstbeschleunigung, als Kopflosigkeit und blinden Exzess. Vielleicht ist es so, weil das Subjekt selbst eine Übertreibung darstellt, ein hyperbolisches Element. Statt sich in Partikularismen zu versenken, geht es darum den großen Begriffen und Fragen nicht auszuweichen: Was ist der Mensch? Was ist Freiheit? Was ist Liebe? Was ist Unendlichkeit? Was ist Glück? Weil die Philosophie mit diesen übergroßen Begriffen und Fragen zu tun hat, gibt es sie nur als Übertriebenheit, als Selbstüberforderung, als Exzess.

Marcus Steinweg aus »Behauptungsphilosophie«