Text 19

	
  A  Macht hat, wer den Schnitt hat. Sie haben die Schere in der Hand, 
     also haben Sie die absolute Macht.

  B  Was interessiert Sie so an Vorgaben und Gesetzen?

  A  Ich komme aus einer Familie kommunistischer Nudisten. Ich durfte 
     tun und lassen, was ich wollte. Ob ich zur Schule ging oder mich 
     mit Weißwein betrank, hat meine Eltern nicht interessiert. Nach 
     einer solchen Kindheit sucht man in eigenen Leben nach Ein- 
     schränkungen.

  B  Dabei haben Kommunisten eigentlich sehr strenge Regeln.

  A  Gemeinhin nimmt man an, dass alle Menschen in der Lage sind, auf 
     einigermaßen vergleichbare Weise zwischen Gut und Böse zu unter- 
     scheiden. Aber warum sieht dann die Welt so aus, wie sie aus- 
     sieht? Warum haben all die guten Absichten meiner Eltern nichts 
     gebracht? Und wurm führen meine eigenen guten Absichten zu 
     nichts?

  B  Stellen Sie sich vor, Sie hätten Gelegenheit, die Gesetze und 
     Verordnungen aufzustellen, nach denen Menschen leben sollen.

  A  Es gibt da diesen tollen Leitsatz: Hinterlassen Sie die Toilette 
     stets so, wie Sie sie vorgefunden haben.
	
 

  B  Ich bin davon überzeugt, dass sich das Sexuelle und das Poli- 
     tische im menschlichen Bewusstsein nicht unbedingt trennen 
     lassen.

  A  Sie sind also doch ein Moralist.

  B  Ja, vielleicht. Oder besser nicht.

  A  Warum denn nicht?

  B  Es ist einfach ein bisschen billig.

  A  Sexuelle Fantasien sind meistens billig.

  B  Trotzdem ist es seltsam, dass Sie der immer versucht, alle 
     Klischees zu hinterfragen, ausgerechnet eine abgedroschene 
     Pornofantasie verwendet.

  A  Sie könnten mich ein bisschen ernster nehmen. Ich bin kein 
     pubertierender Junge.

  B  Sie sitzen hier in einem ehemaligen Kasernenhangar. Sie tragen 
     Militärklamotten, und auf den Hof steht ein Panzer. Sie insze- 
     nieren doch auch Ihre eigene Männlichkeitsfantasie.

  A  Ich bin keine Frau. Ich bin keine Frau. Um das einmal klar zu 
     sagen. Na ja, vielleicht doch. Ich bin eine amerikanische Frau, 
     zu 65 %. Also gut. Wenn man ein Sklave ist, und man jeden Tag 
     von seinem "Master" geschlagen wird, dann ist es ziemlich un- 
     wahrscheinlich, dass man sich auch in seinen sexuellen Fantasien 
     danach sehnt, ausgepeitscht zu werden. Träume von Unterwerfung 
     und Auspeitschen können sich nur die Menschen leisten, die nicht 
     geschlagen werden. Aber die Sehnsucht nach Dominanz und Unter- 
     werfung  ist in unserem Triebstrukturen vorhanden. Ich bin davon 
     überzeugt, dass man diese Triebstrukturen nicht ignorieren kann, 
     wenn man nach angemessenen Formen des menschlichen Zusammenle- 
     bens sucht.

  B  Sie wären eine "gute" Sklavin. Eine, die im Haus der Herrschaften 
     arbeitet.

  A  Aber genauso funktioniert nun einmal der Faschismus, und so wurde 
     er in den Konzentrationslagern umgesetzt. Solange jeder um sein 
     Leben kämpfte, hatten die Nazis ein Problem. Sobald aber ein 
     Mensch mit guten Absichten ins Lager kam, hatten sie ein hervor- 
     ragendes Instrument der Manipulation in der Hand. Dann beginnt 
     der Handel: "Okay, bring diese beiden Frauen um, aber nicht die 
     Kinder." Wohlmeinende Menschen sind gefährlich.

  B  Sie sind mit einem jüdischen Vater aufgewachsen. Auf dem Toten- 
     bett erzählte Ihnen Ihre Mutter, dass in Wahrheit der Sohn eines 
     Nachkommen des dänischen Komponisten P. R. C. Hartmann seien. Und 
     dass sie sich auf diese Weise für Ihr Kind "kreative Erbanlagen" 
     geholt habe.

  A  Bis dahin dachte ich immer, ich sei jüdischer Abstammung. Tat- 
     sächlich bin ich aber eher Nazi. Vor ihrem Tod sagte meine 
     Mutter, ich sollte glücklich sein, dass ich der Sohn dieses an- 
     deren Mannes sei. Und dass mein Ziehvater keine Kraft und kein 
     Ziel gehabt habe. Er war aber ein sehr liebenswerter Mann. Und 
     ich war sehr traurig über diese Enthüllung.

  B  Hat Sie die Tatsache, dass Sie quasi als kreativer Sohn "gezüch- 
     tet" wurden, auch unter Druck gesetzt?


  A  Oh ja, oh ja. Und man fühlt sich manipuliert, wenn man dann tat- 
     sächlich kreativ wird. Hätte ich gewusst, dass meine Mutter 
     diesen Plan hat, dann wäre ich etwas anderes geworden. Ich hätte 
     es ihr gezeigt. Diese Schlampe!

  B  Beten Sie?

  A  Ja, ich bete, tatsächlich. Aber das ist auch alles. Ja, ich bin 
     ein Moralist. Aber ich will nicht, dass ich moralisch wirke. Ich 
     will auch nicht, dass Sie mich für einen Moralisten halten. Ich 
     will, dass Sie mich für grausam, hart und männlich halten.