Text 04

Wir sind es jetzt leid. Sie sind es Leid, sich von autistischen Architekten ihre Städte verschandeln zu lassen. Wie viele Jahrzehnte sollen sie noch unter Beweis stellen dürfen, dass sie keinen Sinn für urbane Strukturen haben und am Menschen vorbeikonstruieren? Wahrlich, sie haben ihre Chance gehabt. Bauen wir halt wieder auf, was seine Probe bestanden hat! Die Leute sind es auch leid, in der Malerei und in den anderen darstellenden Künsten das konzeptuelle Getue von handwerklichen Stümpern bestaunen zu sollen, deren Grips allenfalls für die zeitgeistgemäße Selbstdarstellung reicht. Darum: Her mit der figürlichen Malerei! Die Leute sind es auch leid, im Theater die so uninteressanten wie belanglosen Privatobsessionen zu sehen, mit denen Proleten und Illiterte unter dem Deckmantel des "Regietheaters" ihre trübe Soße über die Klassiker ausgießen. Dann schon lieber Hörspiele! Am besten aber das Texttheater eines Peter Stein. Und schließlich haben die Leute es satt, sich in der Literatur anöden lassen zu sollen von Autoren, die nichts erlebt, durchdacht und folglich auch nichts zu sagen haben und mit Befindlichkeitsprosa langweilen, die noch nicht einmal durch Charme für sich einnimmt. Darun hoch die welthaltigen Erzählwerke eines Martin Mosebach! Es gibt noch andere, aber er ist nun einmal jetzt ihr Exponent. Die ästhetische Modere war die Karkheit, für deren Widerspiegelung auf hohem Reflexionsniveau sie sich hielt. Es gibt nicht den geringsten Grund, an ihr festzuhalten, abgesehen davon, dass man damit einigen Alt-68ern, die es zu Amt und Würden gebracht haben, eine Freude macht. Warum sich nicht bekennen zu unserem Überdruss an ihr?

Ich beschreibe 1968 als Epochenbruch er deutschen Gesellschaft in Richtung Egozentrik, Faulheit, Mittelmaß. Es war eine gewaltige Zäsur. Wir leiden immer noch darunter. 1968 bestimmt unser Leben bis in die letzen Fasern: Staatsgläubigkeit, kryptosozialistische Versorgungssysteme, Selbsthass, Identitätsverlust. Diese nachhaltige Verätzung des „gesunden Menschenverstandes“ führt auch zu jenem Verständniswahn, der keine Maßstäbe kennt: Man hat Verständnis für jeden Sexualstraftäter, jeden Asylbetrüger, jeden afrikanischen Drogenhändler. Politisch ist die Generation der 68er komplett gescheitert, weit über irhe extremistischen Erscheinungen wie RAF, K-Gruppen oder SDS hinaus. Weder sind die Verhältnisse „zum Tanzen gebracht“ noch die „antikapitalistische Sehnsucht“ gestillt worden. Ästhetisch war Achtundsechzig ebenfalls kein Gewinn: Bücherregale aus Apfelsinenkisten, Sitzsack und Wasserpfeife, dazu Glühbirnen. Ebenso trostlos die Kleidung: Poncho, Parka, Palästinenserschal, selten gepflegt. Kaum eine Generation war in ihrer demonstrativen Geringschätzung von Konventionen und Kleidung so auf Oberflächlichkeit fixiert wie jene, die mangelnde Hygiene als Ausdruck innerer Werte verstand. Schlimmer Noch: Die realsozialitische Trostlosigkeit, für die Achtundsechzig ästhetisch steht, verweist auf ein weiteres Feld des Versagens: das der Lebensfreude. Keine Generation war so muffig, verhockt, so fern jeden Humors und jeder Leichtigkeit. Nicht ohne Grund nahm Uschi Obermaier nach ihrer Kommunen- Erfahrung mit Rainer Langhans einen Zuhälter und Zecher zum Freund.